17. April 2025  |  by Jutta Talley
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Ist eine tiefe Sprechtonhöhe für Frauen besser? Ein differenzierter Blick auf Stimme, Wirkung und Rollenerwartungen.

Blogartikel von Jutta Talley vom 17.04.2025

Case: In einem meiner Seminare entflammte eine Diskussion. Eine Fachfrau berichtete, in einem anderen Rhetorikseminar seien die Frauen von einem männlichen Trainer darauf hingewiesen worden, dass sie tiefer sprechen und auf ihr Äußeres achten sollten. Der Trainer hatte einen Unterschied gemacht: Die Männer wurden nicht angesprochen. Leider ist dies nicht lange her, und ich vermute auch keinen Einzelfall. Deshalb greife ich das Thema nicht nur dort, sondern auch hier gern auf.

Die fachliche Perspektive auf die Sprechtonhöhe

Die physiologische Sprechstimmlage liegt bei Männern wie bei Frauen im unteren Drittel des jeweiligen Stimmumfangs. Männer wie Frauen können dauerhaft am entspanntesten sprechen, wenn sie in dieser individuell tieferen Sprechstimmlage sprechen. Männerstimmen und Frauenstimmen sind jedoch aufgrund anatomischer Unterschiede ungleich: Der Kehlkopf von Frauen ist kleiner, die Stimmlippen sind kürzer und haben weniger Masse. Männerstimmen liegen deshalb physiologisch eine Oktave bis eine Quinte unter den Frauenstimmen. Das bedeutet, dass eine gesunde, tiefe Frauenstimme nicht einer Männerstimme gleichen kann. Der Tonumfang der mittleren Sprechstimmlage liege laut Knuth (2024, S. 190) bei Männern zwischen „A und d“ und bei Frauen zwischen „g bis e’“.

Allerdings gibt es neben der mittleren Sprechtonhöhe eine weitere Stimmfunktion, die dauerhaft und gesund genutzt werden kann: die Vortragslage. Diese ist nach Knuth (2024, S. 188) höher und lauter. Die gehobene Sprechstimmlage liege laut Knuth (2024, S. 190) bei Männern zwischen „g und e'“ und bei Frauen zwischen „d' und g'“. Es gehe nicht darum, diese zu vermeiden, sondern sie stimmschonend einzusetzen. Dafür seien ausgeglichene Registerübergänge nötig, so Knuth (2024, S. 189).

Eine in den Registerübergängen ausgeglichene Sprechstimme wird sowohl von der sprechenden als auch von der zuhörenden Person eher als unangestrengt und rund wahrgenommen. Solche Stimme haben quasi die Wahl, auf welcher Sprechtonhöhe sie sich bewegen wollen - im tiefen, entspannten Bereich oder im etwas höheren, gespannten Sprechtonbereich. Aber jedenfalls nicht angespannt oder gequetscht.

Die gesellschaftliche Perspektive auf die Stimme

Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Rolle Emotionen im Sprechausdruck spielen dürfen – auch in einem sachlichen Vortrag. Voigt-Zimmermann et al. (2024, S. 61) diskutieren, wie viel wir im Alltag über unseren Seelenzustand verraten dürfen und dass sich das stimmlich-räumliche Kommunizieren verändert habe.
Die Fähigkeit, stimmlich Distanzen zu überwinden oder zu erzeugen, habe aufgrund eines veränderten Kommunikationsverhaltens an Notwendigkeit verloren, obwohl lustvolles und sinnliches Sprechen und Singen – statt reiner Informationsübertragung – möglich sei.

Die Empfehlung an Frauen, eine männliche Stimmgebung und damit männliche Kommunikationsstrategien zu kopieren, führt nach Beard (2018, S. 45f.) dazu, dass sich die Frauen weiterhin ausgeschlossen fühlen, wenn sie diesen Ausdruck nicht als wesensgemäß empfinden. Diese oberflächliche Lösung träfe nicht den Kern des Problems. Es gehe vielmehr darum, zu reflektieren, wie wir stimmliche Autorität wahrnehmen und begründen – und dies gegebenenfalls zu verändern.

Photographer: Product School | Source: Unsplash

Fazit

Frauenstimmen sind physiologisch anders als Männerstimmen – nämlich aufgrund der Anatomie des Kehlkopfes höher. Die Autorität einer Frauenstimme wird infolgedessen anders klingen als die einer Männerstimme. Männerstimmen wie Frauenstimmen können üben, ihre entspannte und gespannte Sprechtonhöhe zu kennen und bewusst gesund anzusteuern. So kann die Stimme situationspassend und authentisch eingesetzt werden. Wer in der etwas höheren Vortragslage stimmlichen Stress empfindet, einen engen oder resonanzarmen Sprechstimmklang produziert, kann an den Registerübergängen arbeiten. Dies ist mit Übungen zur Stimmbildung gut zu erreichen. Diese Stimmfunktion muss dann auf das bewusste Sprechen übertragen werden. Auch eine flexible Sprachmelodie kann erarbeitet werden.

Außerdem kann man sich fragen, wie viel Ausdruck, Raumeinnahme und Emotionalität eine Situation verträgt – und man kann dies authentisch zulassen. Darüber hinaus kann weiter diskutiert und reflektiert werden, wie Frauenstimmen in unterschiedlichen Kontexten (in Unternehmen, Wissenschaft und Alltag) wahrgenommen und beurteilt werden. Empfehlungen für das Individuum sollten aus meiner Sicht auf Grundlage von Erfahrungen aus Einzelcoachings und Seminaren äußerst sensibel vorgenommen werden. Der kritische Blick auf das Bewertungssystem, in dem sich eine Person bewegt, sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden.
Für Training und Coaching ist ein Bewusstsein der Profis für eigene blinde Flecken und stereotype Rollenbilder nötig.

Literatur:

  • Beard, M. (2018). Frauen und Macht. Ein Manifest. Frankfurt am Main: S. Fischer.
  • Knuth, M. (2024) Die Tonhöhe in der Stimmtherapie. Erschienen in Logos Jg. 32, Ausg. 3, S. 187-190. Zugegriffen am 17.04.2025 unter: https://www.stimmschmiede-bonn.de/images/Knuth_Tonhhe_Logos.pdf
  • Voigt-Zimmermann, S., Wessel, A., & Haase, M. (2024). Stimme–Sprechen–Theater: Sprechwissenschaft im Dialog (p. 249). Frank & Timme.

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Jutta Talley
Jutta Talley ist freiberufliche Trainerin und Coach, die Personen und Organisationen dabei hilft, besser zu kommunizieren. Neben Ihrer freiberuflichen Tätigkeit lehrt sie an der Hochschule Hannover das Sprechen am Mikrofon und ist Gründungsmitglied des Vereins StillLeben e.V., der sich seit Jahren erfolgreich für Menschen mit einer seltenen Kommunikationsproblematik einsetzt. Jutta Talley liebt die Natur und ist gern unterwegs per Rad, Kajak oder zu Fuß.