Ist eine tiefe Sprechtonhöhe für Frauen besser? Ein differenzierter Blick auf Stimme, Wirkung und Rollenerwartungen.
Blogartikel von Jutta Talley aktualisiert am 24.05.2025
Case: In einem meiner Seminare entflammte eine Diskussion. Eine Fachfrau berichtete, die Frauen seien in einem Rhetorikseminar, das vor Kurzem stattgefunden habe, von einem männlichen Trainer darauf hingewiesen worden, dass sie tiefer sprechen und auf ihr Äußeres achten sollten. Meine Teilnehmerin zeigte sich irritiert über den Unterschied, den der Trainer gemacht hatte: Die Männer wurden nicht angesprochen.
Dieser Vorfall ist aktuell, und ich vermute kein Einzelfall. In meiner Arbeit begegnen mir Geschichten dieser Art zwar seltener als noch vor 10 Jahren, was möglicherweise ein Hinweis darauf ist, dass sich das Bewusstsein für physiologische Unterschiede zwischen Männer- und Frauenstimmen verbessert hat. Die Fälle haben jedoch eins gemein: Die betroffenen Personen - meist Frauen - zeigen einen hohen Grad an Irritation und Verunsicherung, den sie eindeutig auf den Vorfall zurückführen. Dies ist nicht verwunderlich, wenn Stimme als Ausdruck der Person verstanden wird, die durch eine Kritik getroffen wird. Um solchen „Angriffen“ besser begegnen zu können und sich ggf. abzugrenzen, ist Fachwissen hilfreich. Deshalb greife ich das Thema nicht nur in meinen Seminaren und Coachings, sondern auch in diesem Beitrag auf.
Die fachliche Perspektive auf die Sprechtonhöhe
Die physiologische Sprechstimmlage liegt bei Männern wie bei Frauen im unteren Drittel des jeweiligen Stimmumfangs. Männer wie Frauen können dauerhaft am entspanntesten sprechen, wenn sie in dieser individuell tieferen Sprechstimmlage sprechen. Männerstimmen und Frauenstimmen sind jedoch aufgrund anatomischer Unterschiede ungleich in der Sprechtonhöhe. Männerstimmen liegen physiologisch eine Oktave bis eine Quinte unter den Frauenstimmen. Das bedeutet, dass eine gesunde, tiefe Frauenstimme nicht einer Männerstimme gleichen kann. Der Tonumfang der mittleren Sprechstimmlage liegt laut Knuth (2024, S. 190) bei Männern zwischen „A und d“ und bei Frauen zwischen „g bis e’“.
Allerdings gibt es neben der mittleren Sprechstimmlage eine weitere Stimmfunktion, die dauerhaft und gesund genutzt werden kann: die Vortragslage. Diese ist nach Knuth (2024, S. 188) höher und lauter. Die gehobene Sprechstimmlage liege laut Knuth (2024, S. 190) bei Männern zwischen „g und e'“ und bei Frauen zwischen „d' und g'“. Es gehe nicht darum, diese zu vermeiden, sondern sie stimmschonend einzusetzen. Dafür seien ausgeglichene Registerübergänge nötig, so Knuth (2024, S. 189).
Stimmregister sind, vereinfacht gesagt, Unterschiede in der körperlichen Einstellung bei der Tonbildung - meist in Verbindung mit der Tonhöhe. Die Stimme organisiert Übergänge, z. B. von Brust- zu Kopfstimme, durch feinabgestimmte Veränderungen in Muskulatur und Bewegungsabläufen. Diese Feinabstimmung kann trainiert werden und so die Sprechstimme unterstützen. Sängerinnen und Sänger kennen dieses Training aus der Stimmbildung, z. B. durch Glissandoübungen.
Der Einfluss von Gesellschaft und Organisationen auf die Bewertung von Stimmen
Im Kontext der beruflichen Kommunikation mit Fachvorträgen, Präsentationen, Gesprächsführung im Team oder mit Mitarbeitenden stellt sich die Frage, welche Rolle Emotionen spielen und wie stark sie zum Ausdruck kommen dürfen. Voigt-Zimmermann et al. (2024, S. 61) diskutieren, wie viel wir im Alltag über unseren Seelenzustand verraten dürfen und dass sich das stimmlich-räumliche Kommunizieren verändert habe. Die Fähigkeit, stimmlich Distanzen zu überwinden oder zu erzeugen, habe aufgrund eines veränderten Kommunikationsverhaltens an Notwendigkeit verloren, obwohl lustvolles und sinnliches Sprechen und Singen – statt reiner Informationsübertragung – möglich sei, so Voigt-Zimmermann et al. (2024, S. 61).

Möglicherweise ist ein neues Verständnis über ausdrucksstarkes Sprechen nötig. Die Akzeptanz für das Zeigen emotionalen Ausdrucks in der beruflichen Kommunikation ist möglicherweise bereits im Wandel. Zumindest lassen die Diskussionen auf beruflichen Social Media Plattformen und Publikationen von Business-Influenzerinnen wie Magdalena Rogl (2025), einer Führungskraft bei Microsoft, darauf schließen. Rogl spricht sich im t3n-Interview (Weck, 2025, O.S.), dafür aus, Fehler offen zuzugeben, über Zweifel zu sprechen und sich selbst mit mehr Empathie zu begegnen.
Die Empfehlung an Frauen, eine männliche Stimmgebung und damit männliche Kommunikationsstrategien zu kopieren, führt nach Beard (2018, S. 45f.) dazu, dass sich die Frauen weiterhin ausgeschlossen fühlen würden, wenn sie diesen Ausdruck nicht als wesensgemäß empfänden. Diese oberflächliche Lösung würde nicht den Kern des Problems treffen. Es gehe vielmehr darum, zu reflektieren, wie wir stimmliche Autorität wahrnehmen und begründen würden – und dies gegebenenfalls zu verändern, so Beard (2018, S. 45f.). Diese Forderung nach Reflexion kann auf der individuellen Ebene stattfinden, in der Gesellschaft und in Organisationen.
„Wenn Organisationen Diversität fördern und leben wollen, könnten sie reflektieren, inwiefern stimmliche Diversität ohne Diskriminierung bereits bereits gelebt wird. Wenn Menschen mit hohen Stimmen innerhalb einer Organisation offen oder verdeckt die Kompetenz abgesprochen wird, ihnen nicht zugehört wird etc., könnte die Organisation sich fragen: Wer hat eigentlich das Problem - der Mensch mit der hohen Stimme, oder die Organisation, die Personen mit bestimmten Kommunikationsmerkmalen abwertet und gegebenenfalls überhört?“ (Talley, J., 2023, S.72)
Fazit
Frauenstimmen sind physiologisch anders als Männerstimmen – nämlich höher. Die Autorität einer Frauenstimme wird infolgedessen anders klingen als die einer Männerstimme. Männerstimmen wie Frauenstimmen können üben, ihre Sprechtonlagen kennenzulernen und die entspannte und gespannte Sprechstimmlage bewusst anzusteuern. So kann die Stimme situativ angemessen und authentisch eingesetzt werden. Wer in der etwas höheren Vortragslage einen engen oder resonanzarmen Sprechstimmklang produziert, kann an den Registerübergängen arbeiten. Dies ist mit Übungen zur Stimmbildung gut zu erreichen. Das Ergebnis der Stimmbildung muss dann auf das Sprechen übertragen werden.
Außerdem kann eine weitere Dimension sein, sich zu fragen, wie viel Ausdruck, Raumeinnahme und Emotionalität die eigene Rolle verträgt – und dies positiv, spielerisch zuzulassen. Darüber hinaus kann weiter diskutiert und reflektiert werden, wie Frauenstimmen in unterschiedlichen Kontexten wie Unternehmen, Wissenschaft und Alltag wahrgenommen und beurteilt werden und wie dies gegebenenfalls verändert werden kann. Einfache Lösungsvorschläge für eine Veränderung der Bewertungskultur gibt es nicht, es bleibt Aufgabe der Individuen, der Organisationen und der Gesellschaft dieses Thema wahrzunehmen und zu behandeln. Wissen und öffentlicher Diskurs können hier hilfreich sein, um das Bewusstsein für das Thema weiter zu schärfen.
Empfehlungen für das Individuum sollten aus meiner Sicht auf Grundlage von Erfahrungen aus Einzelcoachings und Seminaren, äußerst sensibel vorgenommen werden. Der kritische Blick auf das Bewertungssystem, in dem sich eine Person bewegt, sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden.
Für Training und Coaching ist Schulung der Profis und Reflexion eigener blinder Flecken und stereotype Rollenbilder nötig.

Kennenlernen bei Fragen
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Literatur:
- Beard, M. (2018). Frauen und Macht. Ein Manifest. Frankfurt am Main: S. Fischer.
- Knuth, M. (2024) Die Tonhöhe in der Stimmtherapie. Erschienen in Logos Jg. 32, Ausg. 3, S. 187-190. Zugegriffen am 17.04.2025 unter: https://www.stimmschmiede-bonn.de/images/Knuth_Tonhhe_Logos.pdf
- Talley, J. (2023). Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos. Springer Nature.
- Voigt-Zimmermann, S., Wessel, A., & Haase, M. (2024). Stimme–Sprechen–Theater: Sprechwissenschaft im Dialog (p. 249). Frank & Timme.
- Weck, A. (2025). Magdalena Rogl über ihr Impostor-Syndrom: „Gleich merkt jemand, dass ich hier nicht hingehöre“. Interview vom 10.05.2025. t3n digital pioneers. o.s. Zugegriffen am 24.05.2025 unter: https://t3n.de/news/erfolgreich-trotz-selbstzweifel-fuehrungsrolle-bei-microsoft-1685968/
